Aus der Hjartarhorn: Von Horn & Blutstein
Wilde
Rose: ...Die junge Farla war eine wilde Rose unter
den Aardarsfjordern und Schwert und Bogen wichen nicht von ihrer
Seite. Ihr stolzes Adelsblut kannte keine Umkehr, kein Verzeihen
und sie war erfasst von einem befremdlichen Eifer. Sie liebte
die Nacht und der Mond liebte sie. So erwachte Farla in jeder
Nacht, bevor die ersten Sonnenstrahlen sich im Nebel der Gemne-Quellen
brechen konnten und rannte vom Aarenfels ohne Unterlass freudig
gerüstet zum Dunkeltopf, in welchem sich das Mondlicht
tausendfach brach. Ihre tanzende Schwertklinge zerschnitt wirsch
und ungezügelt die Winde und mit dem Bogen schoss sie auf
die Sterne und manchen Pfeil wünschte sie auf seiner Reise
zu begleiten...
Aredars Sorge: ...Farlas Vater Aredar
führte die Aardarsfjorder unter dem Zeichen des Adlers
von Schlacht zu Schlacht und die Wälle wurden standhaft
gehalten. So war das Volk sicher in den festen Hallen. Aredar
sorgte sich wegen dem befremdlichen Eifer seiner Tochter und
ebenso wie sie, erwachte auch er oft in den Nächten. Er
schaute besorgt von den Zinnen der Keilerfeste über die
Dächer der Stadt zum Dunkeltopf herab. Er wusste kein Tadel
konnte Farlas Streben besänftigen. Nicht die Sorge um Farla
allein machte Aredar rastlos. Das Volk sehnte sich nach Frieden.
Der schützende Winter war noch fern, und somit konnten
die Feinde der Aardarsfjorder die Sichelhänge noch lange
bedrängen. Selbst Nerda Graumantel, der weise Seher, konnte
für Aredar keinen Rat mehr ersinnen. So suchte Aredar,
wie es ihm Nerda geraten hatte, sein Heil in den Träumen
...
Aredars Traum: ...Aredar wurde umrungen
von den Quellnebeln Gemnes. Stumm verinnerlichte er die Geschehnisse
dieser Zeiten. Die todbringenden Schergenmeuten, die von Süden
aus das Volk bedrängten, wurden in einer erbitterten Schlacht
an den Sichelhängen zurückgeworfen. Viel übles
Gezücht und finstere Kreaturen suchten heimlich Wege in
das Landesinnere. Speer und Bogen zogen bisher ihre gerechte
Furche mittendurch die Feindesstirn. Doch dieser Tage war der
Blutzoll unter den Aardarsfjorder zu hoch. Die Inselstadt Grünherz
stand vor dem Fall.
Weitere Kämpfe würden das Verderben bringen und schwer
wurde Aredars Herz. Mit Kummer dachte er daran, welch unglückliches
Erbe Farla erwarten würde. So ritt er aus zum Lindenhain
und suchte den letzten Rat am Tor der Ahnengeister. Zitternd
erhob er seine Stimme: Wir stehen mit Aardar im Bunde, doch
die Tage sind schwer und der letzte Lebenshauch des Volkes steht
bevor. Der Winter ist noch fern und die Sichelhänge laden
zum bitteren Waffengang. Wie soll ich hoffen, wo selbst die
Weisen keinen Rat wissen. Bereit bin ich alles zu geben, damit
das Volk der Aardarsfjorder bestehen kann. So siehe Aardar,
mein Blut will ich im Namen Hörls Dir schenken und werde
durch das Tor der Ahnengeister schreiten. So öffnete Aredar
seine Adern und schritt durch das Lindentor und kniete in Demut
nieder. Langsam entwich das Leben aus seinem Körper und
nichts geschah. Also zählte Aredar seine Vorfahren auf,
begann zu sterben und bat um Einlass nach Rijkland. Winde zogen
auf und umfingen den Lindenhain. Das Blätterspiel sprach
sanft zu Aredar: In Dir brennt die Aarenlohe, doch ist Dein
Herz nicht frei. Bereit bist Du alles zu geben und so soll es
geschehen. Das Volk der Aardarsfjorder steht im Blutbanne und
im Namen Hörls hast Du Dich geopfert. Sei gewiss, dass
den Aardarsfjordern Hilfe zu Teil wird, doch zu der Zeit, in
der die Nebel kommen und Gemne herrscht, werden wir die Hilfe
der Aardarsfjorder einfordern. Nun schützen die eisernen
Adlerschwingen euch, Aredar...
Aredars Erwachen: ...Aredar erwachte und berichtete
Nerda was er geträumt hatte, und Nerda sprach zu Aredar:
Wir, die Seher können nicht deuten, was der Traumhirte
Dir offenbarte. Aredar, gehe nun hin zum Tor der Ahnengeister
und besiegle den Bund mit Blut, wenngleich Du nicht verstehen
kannst, was der Preis des Bundes zu sein vermag. So ging Aredar
zum Lindenhain und öffnete wie es Brauch war seine Handflächen
und vollzog den Ritus mit seinem Blut, um den Bund mit Aardar
zu schließen...
Calatins Lohe: ...Der junge Calatin war ein
tapferer Schildkämpe Aredars und diente treu. Er kannte
viele Dinge des Waldes und nicht wenige Tiere waren ihm Freund.
Unbescholten war sein Herz, doch in ihm flammte die ungezügelte
Lohe der Liebe. Farla brachte ihm innige Freundschaft entgegen,
konnte aber seine Liebe nicht erwidern. In jeder Nacht erwachte
Calatin voller Sehnsucht und schlich heimlich zum Dunkeltopf,
um die Wilde Rose zu betrachten ...
Farlas Sturz: ...In einer schicksalhaften
Nacht wurde Calatin Zeuge, wie Farla sich in die Kaltenader
stürzte um sie im Übereifer zu bezähmen. Calatin
verlor fast seine Sinne. Rasch sprang er aus seinem Versteck,
doch konnte er Farlas Sprung nicht verhindern. Er rannte an
der reißenden Kaltenader entlang und suchte Farla in den
Fluten, doch all sein Mühen war vergeblich. Schwer wurde
sein Herz und seine Augen trübten sich. So streifte er
ohne Ziel durch die Winterwälder und wollte nicht mehr
halten. Rastlos war sein Herz. Auf felsigem Grund brach er hernieder
und fiel in einen tiefen Schlaf. Dichte Nebel zogen auf und
Gemne umfing Calatin...
Calatins Traum: ...Ein fremdartiger und
ungewöhnlich kleiner Adler mit grauem Federwerk setzte
sich neben Calatin und er erwachte überrascht. Obwohl er
den Tieren sehr verbunden war, griff er langsam nach seinem
Schwert, da des Adlers Augen wie aus Sternenlicht gemacht schienen.
Wie gebannt streckte er seine Hand in Richtung des Aars aus
und der Adler sprang auf seinen Arm: Aardar schickt mich, Hreidmar,
als seinen Boten und nun höre Calatin: Das Bündnis
zwischen Aardar und den Kindern Rijklands ist erneuert. Komm
rasch Calatin, die Zeit drängt. Es gilt Unheil abzuwenden.
Schatten bedrängen Farlas Träume. Hreidmar stieg in
die Lüfte auf und Calatin folgte ihm mit raschem Schritt.
Der Himmel verfinsterte sich und eine dunkle Sonne rang in den
hohen und nebelverhangenen Baumwipfeln um ihre Vorherrschaft.
Die Welt erschien unwirklich zu sein. Die Winterwälder
gaben sich nur verschwommen zu erkennen und Beklommenheit erfasste
Calatins Herz. So kamen sie wieder an die Kaltenader und erreichten
einen schillernden Lindenbaum, der alles überschattete.
Eine erhabene Schönheit ging von diesem Orte aus. Die stolze
Linde gewährte Hreidmar Herberge und er verschwand in ihrem
grünen Blättergewand. Unter der Linde saß Farla
und schaute starr in die Ferne und sang sanft mit einer silbernen
Stimme. Weich umhüllte sie Gemne und edle Geschöpfe
schwebten im Nebel, der Farla umgab. Die strahlende Schönheit
dieses Bildes konnte Calatin nicht ertragen. So wand er sich
ab und Tränen der Verzweiflung rannen über seine Wangen.
Die Zauberwesen sprachen in einem sanft wiederhallenden Chor:
Ihr Kinder, obwohl Zeit keinen Bestand hat, so haben wir lange
auf euch gewartet. Ihr seid einander versprochen. Innige Liebe
ist in euch und Farla wird Deine Liebe erwidern, Calatin. Aredar
sucht ein Bündnis mit Aardar und die Drauguri mit euch.
Mit euch und euren Kindern soll nun ein Bund bestehen. Dieses
Horn Aines wird Dir Calatin die Gefolgschaft der rechtschaffenen
Recken und Maiden sichern, doch hüte Dich vor jenen,
die Zwietracht im Herzen tragen und um Deine Freundschaft buhlen
werden. Dieser Blutstein Hörls wird Dir Farla einen Schutz
vor Hieb und Stich gewähren, doch hüte Dich vor jenen,
die das Schwert und Schild nicht achten können und danach
trachten ihre Ehrlosigkeit hinter dem Gesicht der verzerrten
Wahrheit zu verbergen. Sucht den Rat eurer Seher, sie weisen
euch auf den Silberpfaden den Weg zu uns in die Träume.
Nun zieht von dannen...
Calatins Erwachen: ...Und so erwachte Calatin
und erschrak über diesen schweren Traum. Seine Sinne waren
nicht mehr klar, doch wollte er nicht lange verzagen. Calatin
eilte geschwind durch Feld und Wald zur Kaltenader und suchte
den Ort mit dem mächtigen Lindenbaum. Voller Eifer suchte
er Stunde um Stunde, in der Hoffnung Farla zu finden. Am Himmel
machte er einen Adler aus, der ihn wohl leiten mochte. Sogleich
folgte er dem Herrn der Lüfte, erreichte den gesuchten
Ort und fand Farla im Sande liegen. Die Nebel aus dem Flussbett
waren sehr dicht, indessen schienen sie sich zunehmend weiter
zu verdichten. Das Grün des mächtigen Lindenbaumes
wich schleichend und der Geruch von Moder und Tod wurde drückender.
Calatin umarmte Farla heftig, aber sie erwachte nicht. Sie träumte
schwer und sprach zitternd...
Farlas Traum: ...Die Fluten ziehen mich in
ihren Bann und ich gerate so tief in sie. Ich bin dankbar dem
Adler, der mich in die Lüfte zieht und mein Herz springt
über vor Freude, bin ich den Sternen doch so nah. Er will
mich fortziehen von den Schatten. Ich laufe schneller als der
Pfeil und so wunderbare Zauberwesen kann ich erblicken. Doch
fallen sie in Tränen hernieder. Schatten bemächtigen
sich ihrer und sie vergehen. Doch spüre ich den Blutstein
Hörls in meiner Brust und mit Mut und Geschick will ich
die Schatten vertreiben. Dem finsteren Übel muss ich Einhalt
gebieten, doch der große Wolfsschlund Thals, der alles
in Schatten taucht und verzehrt macht mir entsetzliche Angst.
Oh, Calatin!...
Farlas Erwachen: ...Calatin rüttelte
verzweifelt Farla, um sie von ihrem Alptraum zu befreien. Es
schien, als könne nichts den Schattenbann Thals brechen.
So warf Calatin Farla heftig in das Flussbett der Kaltenader,
doch erwachte sie nicht. Er schrie wie von Sinnen. Erst jetzt
bemerkte Calatin in seiner Verzweiflung, dass der Adler abermals
über ihm kreiste. Er stieß herab und aus seinen Krallen
löste sich ein Horn, welches Calatin rasch fing. Calatin
blies in das Horn und gleißender Zauberklang entwich diesem.
Farla erwachte in seinen Armen und Tränen wie aus Eis rannen
von Farlas Wangen auf Calatins Hände und brannten sich
in sein Fleisch: Calatin, Du hast mich aus meinem Schattentraume
erweckt und ich danke Dir. In mir schlägt nun der Blutstein
Hörls und dankbar will ich den zauberhaften Drauguri auf
ewig sein. Ich kann nicht ersinnen, welche Aufgabe sie mir auftragen
werden. Eines Tages wird es offenbar und so werde ich nun den
Beistand der Ahnengeister erbitten. Schau doch, wie erhaben
und schön der Lindenbaum ist. Ich möchte einen Samen
des Baumes in der Nähe des Aarenfels pflanzen. Ich bin
müde und sehne mich nach Schlaf. Zum ersten Mal empfinde
ich Ruhe in mir, Calatin...
… Als Farlas Worte verklungen waren, fiel sie in
einen friedlichen Schlaf. Und so trug Calatin sie in seinen
Armen über Feld und Stein zu Aredar. Schnee tauchte das
Land in ein weißes Gewand und Aredars Feinde erfroren
...
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